Mr. Habe trifft den Homo Sapiens 2.0

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Über mich ….

Ein befreundeter Journalist hat mich einmal so beschrieben:

  • Haudegen mit 35-jähriger EDV-Erfahrung
  • missionarisch unterwegs im Dienste der Telekommunikation
  • bekennender K&N Netzwerk-Nomade, at the state of the art
  • heimisch in unterschiedlichen Cyber-W(Z)elten
  •  innovativ/kreativer Unternehmensberater
  • unruhiger Zeitgeist und Regional-Aktivist („verleiht Düsen“)
  • wohnhaft in den waldreichen Hügeln der wilden West-Steiermark
  •  zu Hause Gott-sei-Dank nur erreichbar, wenn er es will

 

 

→ 1972 bekam ich das Atari Computerspiel „Pong“ und saß im Rahmen der mathematischen Übungen in der 6. Klasse zum ersten Mal vor einem computer­ähnlichen Monstrum

→1996 habe ich meine erste eigene private Domain sereinigg.at angemeldet.

→ 2006 wurde ich geschäftsführender Gesellschafter der act2winä Consulting GmbH und unterrichte an diversen Hochschulen

 

Der lange Weg begleitet von Technik, Computer und Internet hat Spuren und Narben hinterlassen. Er hat mich geprägt und mich zum Teil auch zu dem gemacht, was ich heute bin.

Warum habe ich dieses moderne Märchen geschrieben?

Seit Jahren bin ich – wie jeder andere Mensch auch – mit der Tatsache konfrontiert, dass es technologisch bedingte Veränderungen im Leben jedes einzelnen und in der Gesellschaft gibt. Sehr oft aber wird nach dem Motto vorgegangen „„Es kann nicht sein, was nicht sein darf“. Ich habe Menschen kennengelernt, die ohne Rücksicht auf Verluste jedem neuen Trend nachgelaufen sind und ich habe Menschen kennen gelernt, die Fakten sogar dann noch leugneten, wenn sie davor gestanden sind. Menschen, die Argumente ignorierten oder mit unpassenden Vergleichen abgetan haben.

Es ist mir ein besonderes Anliegen, Menschen zum Nachdenken über die eigene Verantwortung anzuregen. Insbesondere dann, wenn sie wichtige Multiplikatoren und somit Vorbilder für ihr Umfeld sind. Ich habe stundenlange Diskussionen über mögliche Entwicklungen geführt, was sich wie, wann, unter welchen Umständen entwickeln könnte und wie der Beitrag jedes einzelnen dazu aussehen könnte.  Derzeit ist das Thema „virtuelle Diskussion“ brandaktuell. Allzu oft bekomme ich auf die Frage „Wie gehst du mit dem Thema virtuelle Diskussion um und wie bereitest du dich und dein Umfeld darauf vor?“, diese Antwort zurück: „Der persönliche Kontakt ist mir wichtiger“.

So ist die Idee entstanden das „Unerklärbare“ in eine Geschichte zu verpacken. Eine Mischung aus modernem Märchen, unter Berücksichtigung historischer Fakten, mit einem Ausblick in die Zukunft.

 

Für alle, die Argumente suchen!

Peter Sereinigg

 

Danke an Kathrin Lind und unser Team, die „Mammuts“, wie sie sich nennen, ihr seid einfach großartig!

 

http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/at/

 

Aus der Reihe „Mr. Habe und Selin“:

Mr. Habe trifft den Homo Sapiens 2.0,
oder unser Upgrade ist in 2 Mio. Jahren verfügbar!

Märchen beginnen meistens mit „Es war einmal….“. Dieses Märchen beginnt mit „Es wird einmal …“, nein besser mit „Es geschieht heute und jetzt ….“. Wie in modernen Märchen üblich, wird hiermit ausdrücklich festgehalten, dass Ähnlichkeiten mit Personen, egal ob sie gelebt haben, leben oder irgendwann leben werden rein zufällig und nicht gewollt sind 😉

1        Mr. Habe, ein erfolgreicher, bodenständiger Unternehmer

Mr. Habe kann mit seinen 45 Jahren ganz schön stolz auf sich sein: er gründete vor vielen Jahren schon sein Unternehmen, das Beratungen in der Regionalentwicklung anbietet und ganz in der Nähe seines verträumten Hauses in Bichital ist. Die Auftragslage hat sich stets verbessert. Zu seinen ersten regionalen Kunden kamen schon bald erste nationale Kunden dazu und es gibt auch schon erste Abschlüsse mit dem näheren Ausland. Gut, über die Grenze ist es nur 1 Stunde Fahrtzeit, in die Landeshauptstadt, 1,5 Stunden, aber „Internationales Unternehmen“, das klingt schon nach was. Darum nennt sich Mr. Habe seit diesem ersten ausländischen Geschäftsabschluss auch „Mr.“ – die Kurzform des englischen „Mister“ – das klingt weltmännisch, offen und progressiv. Nicht mehr „der Habe“ oder „Chef“, wie ihn seine MitarbeiterInnen immer gerne gerufen haben, liebevoll und vielbeachtet. „Herr Habe“ hat kaum jemand zu ihm gesagt, weil es am Land einfach nicht üblich ist.. Seine Englischkenntnisse sind nicht gerade berauschend, aber das ist auch egal, mit dem ausländischen Kunden kann er Deutsch reden und wenn es um andere Kontakte geht, „Welcome“, „How do you do“ und „Red wine, white wine or Schilcher “ schafft er auch noch fast ohne Akzent.

 

Heute war wieder einer von diesen gefürchteten Tagen für Mr. Habe. Sein Handwerk hat er gelernt, da war er spitze oder top, wie seine Assistentin Marsa in dieser neujugendlichen Sprache immer erklärt. Halb so schlimm, solange sie nicht verlautbart „Boss das war geil“, gibt das ihm und der Firma den notwendigen jungen, frischen Wind. Man muss ja mit der Zeit gehen. Seit kurzer Zeit hat er statt seinem guten alten mobilen Telefon ein neues, modernes. Das gute alte konnte „noch“ telefonieren, wie er melancholisch nach der Einschulung feststellen musste. Marsa hat ihm stundenlang, immer wieder versucht zu erklären, wie einfach alles ist, um dann resignierend festzustellen: „Mr. Habe, ich bekomme jeden Tag immer wieder für ein paar Minuten Ihr Handy und aktualisiere es mit den neuesten Daten.“ (Das damit nicht seine Hand gemeint war, hat Mr. Habe schnell bemerkt, jedoch was Marsa mit aktualisieren meinte, blieb für ihn ein Rätsel.) „Wenn es läutet, drücken Sie hier, wenn Sie telefonieren wollen, ist da der Wählblock. Wenn Sie das „Posthorn“ hören, dann haben sie eine Nachricht bekommen, dann drücken Sie diese Taste. Aber wenn es so „scheppert“, (Marsa verfällt immer wieder in ihren ländlichen Dialekt, „scheppern = knarrende Form des Läutens“) dann haben Sie einen Termin“. „Diese Klingeltöne sind schon genial, ohne hinzuschauen weiß man, was gerade passiert“, dachte sich Mr. Habe in diesem Moment. „Wenn Sie sich nicht auskennen“, setzte Marsa fort, „dann drücken Sie auf diese Taste und mein Handy läutet, wenn sie wollen Tag und Nacht. Das bekommen wir schon hin! Die Jami-Tant hat das auch gelernt, schickt SMS und MMS, hört MP3s, ändert die Klingeltöne, spielt Tetris, nutzt den Organiser, ach ja und telefonieren tut sie damit auch und die ist gleich alt wie Sie.. Sie kocht nicht nur ausgezeichnet, sie hat sich alles selbst beigebracht, nachdem sie gesehen hat, welche tollen Kochbücher es im Internet gibt und wie toll es ist, ihre Freundinnen weltweit zum virtuellen Kaffeetratsch einzuladen.“ „Na gute Nacht“, dachte sich Mr. Habe, „jetzt werde ich schon mit der Jami-Tant verglichen“, die er von ausgiebigen Kartenpartien aus dem Goldenen Hirschen kannte. Ihr Bruder ist vor Jahren nach Amerika ausgewandert und unterrichtet jetzt dort in einem Reservat Ureinwohner in Deutsch und „moderne Welt“ oder wie das auch heißen mag.

Aber wenn ich nicht weiter weiß, dann gibt’s ja Marsa und die ist ein richtiger Wirbelwind, hüpft den ganzen Tag in der Firma herum, animiert die MitarbeiterInnen in Pausen bei kurzen Aerobicübungen (das sieht fast so aus, als würde aus der Klimaanlage plötzlich Juckpulver kommen…) mitzumachen und am Abend tanzt sie noch Salsa (Marsa hat ihm das als eine „kubanische Polkervariante, die man erst nach dem fünften Achterl Rotwein tanzen kann“ erklärt). In der Firma herrscht zwar striktes Rauchverbot, aber jeder weiß, dass die Marsa immer wieder heimlich am WC verschwindet eine Zigarette raucht und dann mit viel Luftspray versucht den Geruch verschwinden zu lassen. Aber wer ist schon ohne Fehler, der werfe den ersten Stein. Organisationstalent, das hat sie und Ideen, wie sie MitarbeiterInnen und Kunden was beibringen kann. Diese Handy-Einschulung war nicht ihr erster Versuch Mr. Habe auf „Vordermann“ zu bringen. Bis jetzt hat er sich bei fast allen Ausbildungen gedrückt, egal ob Word (dt.: Word, früher mal Schreibmaschine), Excel (irgend so eine neumoderne Rechenmaschine ohne Kontrollstreifen) oder Internet (das kann sich Mr. Habe heute noch nicht vollständig erklären). Wozu auch, er hatte ja sein Team und die müssen das ja schließlich können. Er als Boss musste managen (das hat er mal in einem Vortrag für Führungskräfte im Gasthof zum Goldenen Hirschen aufgefangen) und sich nicht so einen PC-Kleinkram antun.

PC ist wieder so ein neudeutsches Wort. Kartoffel heißen heute Chips (er war mal in einem Casino, das Wort kannte er), Würstel nennt man Hot Dogs (als ob er Hunde essen würde, …) und PC, na egal wofür das steht, so ein Blechtrottel steht seit es die Marsa in der Firma gibt auf jedem Schreibtisch. Auch auf seinem, natürlich passend zur rustikalen Eiche seines Schreibtisches und schön eingebaut. Keiner von diesen barocken, rubensförmigen Bildschirmen, nein ein Flachbildschirm (TFT: total flacher irgendwas. Die Bedeutung des zweiten T’s war Mr. Habe wohl entfallen). Ein Tastendruck und das Werkel (man entschuldige diesen steirischen Ausdruck, ein passender deutscher wäre wohl „System“) läuft.

2        Mr. Habe und seine „gelbe Zettelwirtschaft

Vor einigen Monaten hat er noch Zetteln geschrieben – diese kleinen gelben, selbstklebenden Post-ist. Jeden Tag hat er in der Früh eine Stunde dafür aufgewendet, dann ist Mr. Habe durch die Firma gegangen und hat jedem Mitarbeiter so einen gelben Zettel persönlich auf den Bildschirm geklebt: Nachrichten, Wünsche, Aufträge. Das war toll, persönlicher Kontakt und moderne Kommunikation.

Bis Marsa über Nacht alle gelben Zettel weggesperrt hat. Kein einziger Block war mehr da, auch in keinem der umliegenden Büros. Mr. Habe hatte überall nachgesehen, kein einziger (!) kleiner gelber Block. „Lieferengpass“ war Marsas Stellungnahme und er sollte doch, bis es wieder gelbe Zettel gibt, eMails verschicken. „EMAIL!“, Mr. Habe war empört, Töpfe oder Platten würde er nie beschreiben und dann austragen, wie schaut das denn aus, wenn er in der Früh mit einem Korb voller EMAIL-Töpfe oder Platten durch die Firma geht und dann diese auf den Schreibtischen verteilt. Marsa hat sich das Lachen nicht verkneifen können und ihm dann erklärt, dass eMails die direkten Nachkommen der Brieftauben, der Flaschenpost, des Telegraphen, des Telegrams und der Briefe sind. Eine Kreuzung aus allem, nur halt ohne Federn, Flasche und Briefmarke, dafür viel schneller und kostenlos – das war ein Argument, Kosten sind immer ein Thema.

Das war toll, er konnte seine gelben Zettel verschicken ohne sie auf Bildschirme picken zu müssen und das nicht nur einmal am Tag, nein wann immer er wollte. Blöd war nur, dass die Mitarbeiter ihm jetzt auch diese gelben Zettel schickten und es gab keine Marsa, die diese vorher abfing und ihm aufbereitete. Es war wie Ping Pong, nur mit gelben Zetteln. Marsa hat irgendwas von Regeln erwähnt, die die MitarbeiterInnen einhalten müssen, um nicht zu viele Pings auszulösen, die dann diese Pongs provozierten, aber das galt ja nur für die anderen, er war „Mr. Habe“ und für ihn gelten andere Regeln.

3        Mr. Habe und sein Diktiergerät

Dann kam der Tag, an dem das Diktiergerät in seinem Büro den Geist aufgab. Mr. Habe wurde den Verdacht nicht los, das Marsa damit was zu tun hatte. Sie hat immer schon so komisch geschaut, wenn er einen neuen Stapel Mini-Kasetten auf ihren Tisch legte und Sie dann diese Bänder abschreiben musste, Aktennotizen, Protokolle, usw. …

Aber selber schreiben, wie denn? Mit eMails? Dieses Wordprogramm, das würde er nie angreifen und in eine der Schulungen von Maris, die sie immer für MitarbeiterInnen gab, nein, das war ihm zu unheimlich, die jungen Leute, die alles schon kannten und konnten und er, der schon froh war ein eMail zu verschicken – NIE im Leben.

Marsa war gerade wieder auf einer Schulung, also wieder einmal nicht erreichbar, kommt doch die Jami-Tant vorbei und fragt so scheinheilig nach der Marsa und ob wohl alles in Ordnung sei und ob sie helfen könne…

Den Abend wird Mr. Habe nicht so schnell vergessen und auch nicht die nächsten und den übernächsten. Statt beim Goldenen Hirschen Karten zu spielen, zeigte ihm die Jami-Tant, wie Word funktioniert, Schritt für Schritt, wie einem kleinen Buben, der von überhaupt nichts eine Ahnung hat.

Mr. Habe fragte sich, was wohl peinlicher wäre, im Seminar von Marsa zu sitzen oder sich das hier am Abend von der Jami-Tant zeigen zu lassen, die damit überhaupt keine Probleme zu haben schien. Es dauerte nicht lange und er konnte schon seine eigenen Briefe schreiben, Protokolle und anderes Papierlwerk (= Ansammlung von geschriebenen Seiten). – Zwar noch nicht richtig verschönt, „formatiert“ heißt das, hat ihm die Jami-Tant erklärt, aber das machte die Marsa, wenn er ihr das alles per eMail schickte. Das ganze roch nach einem abgekarteten Spiel – aber was soll’s, er konnte jetzt erst mal mit Word schreiben und das Diktiergerät war ja wirklich schon sehr alt.

4        Mr. Habe muss ganz schnell nach Palästina

Marsa war auf Urlaub, das Chaos im Betrieb hielt sich dank dieser neuen Errungenschaften in Grenzen. Mr. Habe erwartete einen ganz ruhigen Tag, trank mit Mitarbeiterinnen Kaffee, plauderte über die Arbeit und die Familie. Diese kurzen Gesprächsrunden am Kaffeeautomat waren ihm ganz besonders wichtig. Er war stolz zu wissen, wann wer Geburtstag hat, dazu brauchte er kein Handy, das ihn schon Tage vorher darauf aufmerksam machte, er wusste, bei wem die Kinder krank waren, ob eines eine ganz tolle Prüfung abgelegt hatte oder wer gerade wieder mal „liebeskrank“ (also eigentlich gerade an einem gebrochenen Herzen litt) war. Er traf seine MitarbeiterInnen immer wieder mal beim Goldenen Hirschen, trank mit ihnen ein Glas Bier, schaute sich stundenlang Urlaubsfotos an oder Bilder vom Geburtstag der Enkerln (zu Deutsch: Enkelkinder). Mr. Habe war ein Mann, der auf sein Team schaute, der sich einschaltete und der ansprechbar war, wie sein Vater und der Vater seines Vaters. Management aus der Chefetage mit einem Sprechtag pro Jahr, war für ihn unvorstellbar – er brauchte den Kontakt, musste die Augen sehen und die Hände spüren.

Gerade als er sich von einer Mitarbeiterin anhört, wie krank ihr Mann war, ging sein „Posthorn“ los, er hat ein eMail aufs Handy bekommen. Das war genial, immer wenn er den Computer ausschaltete, wurde sein Handy aktiv und sammelte wichtige eMails für ihn ein („Blackberry“ nannte Marsa das, das stand auch zu Hause auf den Marmeladen, aber was das damit zu tun hatte, das war ihm nicht klar), um sie unverzüglich mit „Posthorn“ anzuzeigen. Keine Ahnung, wie Marsa das geschafft hat, dachte sich Mr. Habe, aber es funktionierte. Beim Lesen der Nachricht wurde sein Gesicht grau, er ließ den Kaffee stehen, stürmte in sein Büro, rief laut nach Marsa, um dann sich zu erinnern, das sie auf Urlaub war. Er musste das eMail auf jeden Fall am Computer lesen, das konnte sich nur um einen Irrtum handeln, vielleicht ein falsche Übertragung auf das Handy. Ungeduldig wartete er, bis er den Text in der ganzen Tragweite vor sich hatte – ein schnellerer Computer, wie Marsa empfohlen hatte, war ihm damals zu teuer gewesen, der optisch schönere Flachbildschirm wichtiger.

Das eMail kam von einem flüchtigen Kontakt, den er vor ein paar Wochen auf einer Messe kennengelernt hatte, sie hatten höflich die Visitkarten getauscht und vereinbart, sich irgendwann zu treffen, um über mögliche Geschäfte zu reden, das üblich halt,. Wenn man so am Buffet wartet und es langweilig wird. Jetzt hatte ihm dieser Mr. Wafyus aus Nablus in Palästina ein eMail geschrieben:

 

Dear Mr. Habe,

thank you for our short conversation one month ago

 

dann kam einiges an Höflichkeiten und dann der Satz der ihn erblassen lies

 

I would be glad to invite you to a virtual meeting on the – UND DAS WAR HEUTE IN 2 STUNDEN – just click on this link. A headset would be helpful and if you could use a Webcam, we may not only talk, we can see each other.

Lets talk about our future plans and we may start working on a common project, to start this soon.

 

Best regards

 

Mr. Wafyus

 

Alles hatte er nicht verstanden, aber in 2 Stunden würde dieser Mr. Wafyus hier sein oder was sollte das mit dem „click auf einen Link“ – nie im Leben klickt er auf einen unbekannten Link, das war so was ähnliches wie ein Routenplaner, führt ihn am schnellsten Weg zu einer Seite irgendwo im Internet, das hat ihm Marsa streng untersagt – SIE hat das dem Chef verboten“ Und auf die Frage, was alles passieren könne, nur lapidar gemeint, dann bekommt ihr PC vermutlich Syphilis, Tripper und AIDS auf einmal und steckt gleich alle anderen PCs in der Firma an. Sie hat irgendwas von Kondomen von PCs erzählt, die sie installiert hat und die immer wieder erneuert werden müssen, die normalerweise schützen würden. Trotzdem hat sie ihm verboten auf unbekannte Links zu klicken.

Die Jami-Tant wollte und konnte er nicht anrufen, über Computerkondome und Palästinensische Links mit ihr zu reden – nein das war zu peinlich. Aber da gab es ja noch die Sida, diese junge Praktikantin, die seit kurzem in allen PCs irgendwie ihre Finger drinnen hatte und mit Marsa sich in einer Art Geheimsprache unterhielt. Sida, das war die Rettung. Ein kurzer Anruf und schon kurz darauf klopfte es an der Tür.

Mr. Habe war es unangenehm, obwohl er alle MitarbeiterInnen gut kannte, diese Sida war ihm irgendwie noch fremd, für lange Reden war keine Zeit und was ist wenn dieser Wafyus auf einmal vor der Tür stand….

Er zeigte Sida das eMail und fragte sie, was sie davon halten würde.

Sida studierte das eMail und versuchte – ganz anderes als Marsa es tat (die umschrieb schwierige Begriffe immer so schön) – Mr. Habe zu erklären, dass dieser palästinensische Kontakt ihn Mr. Habe in einer Stunde und 30 Minuten virtuell in einem Meetingraum treffen wolle – keine Vergleiche, keine Umschreibungen, knallhart – ER WILL SIE TREFFEN. – Virtuell, das klang gefährlich. Virus klingt ja auch so ähnlich und Meetingraum…? In der Zeitung stand mal, dass Parteien jetzt „Warrooms“ haben, also „Kriegsräume“, war das so was ähnliches? – Wieder solche Begriffe, die Mr. Habe zwar schon gehört hatte, aber die er tunlichst ignoriert hatte weil er sich nicht besonders betroffen fühlte. Er bereute es in dem Moment, Marsa immer wieder vertröstet zu haben, wenn sie ihn auf diese „virtuellen Meetings“ angesprochen hatte. Wenn schon treffen, dann Aug’ in Aug’, mit Handschlag und allem was dazugehört. Und jetzt war nicht „Hannibal ante Portas[1]“, dafür „Wafyus ante Bildschirm“. Er wunderte sich, wie er auf diesen Vergleich kam, aber vielleicht war es ja wirklich eine Bedrohung, ein Unbekannter kommt ins Büro, unerwartet, über einen Weg, den er nie für möglich gehalten hat. Er war nicht vorbereitet, er war unsicher, was ist wenn er sich blamiert? – Alles verschieben, das wäre unhöflich. Dunkel erinnerte sich Mr. Habe, dass sie vielleicht damals wirklich diesen Termin ins Auge gefasst haben, aber es waren ja nur Höflichkeiten und jetzt ist „Wafyus ante Bildschirm“!

Sida riss ihn aus seinen wirren Gedanken, mit dem Hinweis, dass sie keine Expertin für virtuelle Konferenzen sein. Aber es gibt da diese Carme auf Zimmer 5 von dieser Marketingagentur, sie hat das schon gemacht, sie sollte sich auskennen – ob sie diese holen dürfte?

Mr. Habe war jetzt alles egal und wenn sie den Papst persönlich holen müsste, irgendwer musste ihm aus dem Dilemma helfen. 15 Minuten später war Sida mit Carme zurück. „Wozu hat dieses Mädel ihren Walkman mit, diese Kopfhörer, das ist wirklich schlimm mit der heutigen Jugend“, schoss es Mr. Habe durch den Kopf.

Ihre erste Frage war, ob der Virenschutz aktuell und ob seine Firewall aktiv sei. An seinem entsetzten Gesicht erkannte Carme, dass Mr. Habe nur „Bahnhof“ verstand. „Gegen Grippe sei er geimpft und die Brandschutzanlage wurde auch überprüft…“, mehr brachte Mr. Habe nicht raus und schaute verlegen auf das eMail, als ob dort die Antwort stehen würde. Carme überhörte diese Bemerkung, klickte ein paar mal am PC herum, schaute auf das eine Fenster und dann auf ein anderes, um dann festzustellen, dass alles sicher sein dürfte und sie würde gerne auf diesen Link im eMail klicken. Resignierend nickte Mr. Habe mit dem Kopf. Jetzt war alles schon egal. Nach dem Klick auf den Link tat sich einmal gar nichts, nach ein paar Sekunden erschien eine Landschaft die eher aussah wie ein Grundstück am Mond als auf der Erde, trocken, kaum Bäume, Häuser… Sida erkannte die Landschaft, es war Nablus (sie habe das mal in einer Dokumentation gesehen) und „das ist ein virtueller Meetingraum“ ergänzte Carme, nur der ist noch „zu“, d.h. geschlossen, wir haben noch ein paar Minuten Zeit, um uns, nein Mr. Habe, vorzubereiten..Mr. Habe wurde endgültig bleich, er, in Nablus[2], verbunden durch den Bildschirm, mit zwei Mädchen rechts und links – was geschah hier?

Carme war jetzt in ihrem Element, sie setzte Mr. Habe den Kopfhörer auf. „Also doch kein Walkman“, dachte er und entschuldigte sich in Gedanken bei dem Mädchen. Sie stellte ein eckiges Ding mit einer Linse auf den Tisch, stöpselte einige Kabel in den Computer und auf einmal sah Mr. Habe sich am Bildschirm. Wie kam er dorthin und was sollte das alles?

Carme ersuchte Mr. Habe jetzt ein paar Sätze zu sprechen, um das Mikrophon einzustellen, das kannte er, so was hatte er schon bei Betriebsfeiern in der Hand gehabt und laut „test, test“ gerufen und jetzt hing es wie ein zu dünner Lutscher (zu Deutsch: Loli) vor seinem Mund. Aber egal, er redete und redete, sie zupfe am Mikro, klickte am Bildschirm, bis sie zufrieden war. Sein noch unscharfes Bild wurde scharf, nachdem sie an einem kleinen Rädchen drehte. „Ich sehe gar nicht so schlecht aus“, dachte Mr. Habe in dem Moment, „ganz flott dieser Kopfhörer“. Carme riss ihn wieder aus den Gedanken, „es geht gleich los Mr. Habe! SIE REDEN, den Rest machen wir beide“, befahl sie forsch. Mr. Habe verstand die Welt nicht mehr, er saß mit einem Kopfhörer am Kopf und einem Staberl vorm Mund vor einem Bildschirm, starrte sich selbst an und musste sich solche Dinge von einer jungen Frau anhören.

In dem Moment tauchte Mr. Wafyus am Bildschirm auf und plötzlich war da nicht mehr „Wafyus ante Bildschirm“, jetzt war „Wafyus AUF dem  Bildschirm“. Sein breites Lächeln strahlte ihm entgegen und nicht nur dass er strahlte, er sprach auf einmal. Klar und deutlich. Carme hatte inzwischen einen weiteren Kopfhörer angesteckt und die beiden Damen lauschten gespannt. Mr. Wafyus sprach Deutsch, gebrochen, aber verständlich, „nicht auszudenken, wenn das alles auf Englisch passiert wäre“, dachte Mr. Habe…

Auf einmal wurde das Videobild von Mr. Wafyus ganz klein, rutschte in Eck und statt dem Bild war eine Präsentation zu sehen, eine von denen, die Marsa immer für ihn vorbereitete und er dann nur mehr Tasten drücken musste. Mr. Wafyus zeigte ihm seine Geschäftsideen, die Chancen, die Risiken…„Unheimlich dachte Mr. Habe, vielleicht ist er im Nachbarbüro und das alles ist nur eine große Fata Morgana, die soll es ja in solchen Wüstenstaaten geben“ Aber hier in seinem Büro, Folie auf Folie, wie von Zauberhand, erschienen die Bilder. Es wurde darauf gezeichnet und er konnte seinen Gesprächspartner hören, laut und deutlich … Was er hörte klang gut, logisch, kompetent, irgendwie hatte er das Gefühl, in einem Besprechungsraum zu sitzen, wie schon oft, nur der Sprecher war viele Flugstunden entfernt …

Mr. Wafyus kam zum Schluss seiner Präsentation und stellte die obligatorische Frage, „ob es noch Fragen gäbe…?“. Er war sprachlos. Fragen was, wie, jetzt, …auf einmal war die Präsentation weg! Ein weißer Bildschirm war nur mehr da, wenn nicht im Eck das kleine Videobild wäre und die Stimme … „Stört es sie Mr. Habe, wenn wir einen Zeitplan erstellen und ein paar Gedanken sammeln, ein Brainstorming machen?“, hörte er sein Gegenüber sagen – sein Gegenüber, ja sein sehr weit entferntes Gegenüber.

Mr. Habe erwachte aus seiner Starre. Brainstorming, Zeitplan,… ja das kannte er – „Einen Moment ich suche meinen Kalender“, hört er sich sagen, „ich suche einen freien Termin, dann können wir uns gerne treffen, auf welchem Flughafen wäre es ihnen recht?“ „Treffen, wozu treffen?“, klang es aus dem Headset, „wir machen das gleich jetzt, hier am Bildschirm, auf einem Whiteboard, das geht schneller und erspart uns einen Flug“.

Wieder, wie von Zauberhand, erschienen Linien und Strukturen, gezeichnet irgendwo da in der Wüste und dargestellt auf seinem PC. Das konnte dieser Mr. Wafyus nicht wirklich wollen – er – Mr. Habe, der gerade mühevoll einen dieser Knöpfe der Maus traf, sollte WAS jetzt hier tun? „Zeichnen und schreiben, aber wie??!!… Die Show war zu Ende, jetzt kam alles heraus, dass er als Manager, als Chef einer Firma ein technischer Versager war und eine Blamage vor einem Kunden oder möglichem Partner war doppelt so schmerzhaft.“ Sida kritzelte ein paar Wörter und legte ihm den Zettel so hin, dass er ihn lesen konnte, Wafyus aber die Damen immer noch nicht sah. „SIE REDEN – den Rest mache ich…“ stand da geschrieben. Was konnte er schon verlieren, er begann zu fragen, erklären, antworten, wie er es sonst auch tat, am Anfang zögerlich dann immer sicherer und wie von Geisterhand, in Wirklichkeit war es die Hand von Sida, wurden seine Wörter zu Zeichnungen, Anmerkungen und Hinweisen, wie in einem Seminarraum. Der kleine Unterschied zu einem „normalen“ Seminarraum war der, dass sein Gegenüber irgendwo am Rande der Wüste saß, dass er mit einem Videobild redete, und alles im Kopfhörer hörte. Seine Kommentare wurden von Sida auf den Bildschirm übertragen, bei Unklarheiten nahm er wie sonst auch den Finger zu Hilfe, wie wenn er auf etwas zeigen würde.  

Zwei Stunden später und schweißgebadet war für ihn das Gespräch zu Ende. Es war erfolgreich, wenn die Pläne halten, was sie versprechen. Es wurde ein neuer „virtueller Gesprächstermin in zwei Wochen vereinbart, da sollte Mr. Habe präsentieren, Sowohl Carme als auch Sida nickten heftig und ruderten mit ihren Armen um ihre Zustimmung auszudrücken. Und ohne wirklich zu wissen, auf was er sich da jetzt wieder einlassen würde, bestätigte er den nächsten Termin. Ein paar Höflichkeiten wurden noch ausgetauscht und dann war der Bildschirm wieder wie er ihn kannte: sein Hintergrund war der Baum vor seinem Haus und ein paar bunte Icons mit seinen wichtigsten Programmen zierten die Oberfläche.

Er hatte es überstanden… er hatte es nicht nur überstanden, es ist nahezu perfekt gelaufen! Es gibt kein Anzeichen dafür, dass er das zum ersten Mal gemacht hatte, es war einfach GENIAL…nein die Mädels waren GENIAL!

5        Mr. Habe und seine Avatarin

Carme klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und strahlte über das ganze Gesicht.

„Sag mal Sida“, fragte Carme, „habt ihr eurem „Bossi“ keinen Avatar installiert? -Der könnte ihm sicher helfen, wenn keiner in der Nähe ist,.“

„Avatar“, was war das schon wieder, „kam jetzt der nächste Schock?“, dachte Mr. Habe. Ohne lange zu fragen griff Carme zur Maus, Fenster blitzten auf und zu und dann war da eine Liste mit Fotos und Namen am Bildschirm. „Suchen Sie sich jemand aus!“, hörte er Carme sagen. Das war doch deutlich zuviel, Mr. Habe bekam einen roten Nacken, sein Gesicht verspannt sich, „ich bin nicht so einer, der da Kontakte sucht, ich bin verheiratet, ich brauche keinen Avatar und außerdem bin ich „normalgepolt“!“ rutschte es ihm heraus. „Warum lachten die beiden Gören jetzt? Was hat er jetzt schon wieder gesagt? Was soll das jetzt?“, Mr. Habe verstand die Welt nicht meht.

„Mr. Habe, entschuldigen Sie! Ich habe da vergessen etwas vorher zu erklären: Avatare sind so kleine Helferlein am Computer, die immer dann, wenn es Fragen gibt weiterhelfen. Ist doch schön, nicht dauernd in der Hilfe herumstochern zu müssen. Avatare sind eher so was wie Ihre Marsa, nur am PC, aber natürlich NIE ein Ersatz für Marsa! Und außerdem es gibt auch Avatarinnen für „Normalgepolte“ erwiderte Carme auf Mr. Habes verdutztes Gesicht.

Das saß! Mr. Habe versuchte seine Fassung wieder zu gewinnen und seine Gedanken zu ordnen. Er solle sich also jetzt eine Avatarin aussuchen… Nach langem Überlegen entschied er sich für die Avatarin „Selin“. Weshalb er sich für Selin entschieden hatte, wusste er nicht so genau, das war eher ein Bauchgefühl. Doch irgendwie erinnerte sie ihn an jemanden.

Carme und Sida waren gegangen, mit dem nicht sehr hilfreichen Hinweis, „auch virtuelle Meetings lassen sich erlernen.“ Und Mr. Habe saß wieder alleine in seinem Büro und versuchte die vergangenen Stunden Revue passieren zu lassen.

Noch war er sich nicht ganz im Klaren darüber was passiert war. Mr. Habe ist eben ein bisschen „konservativ“, Dinge, die man nicht berühren kann, sind für ihn abstrakt. Doch langsam kam ihm ein anderer Gedanke: „Wenn das so weitergeht, werde ich nur noch am Computer sitzen, mit Headset und Webcam, keine Cafes mehr mit Mitarbeitern trinken, mit der Maus am Bildschirm zeichnen, statt auf seinem Block schreiben… NEIN, das will ich nicht, dazu ist mir der persönliche Kontakt zu wichtig! Alles NUR nicht das! Es muss ja möglich sein Geschäfte auch in Zukunft anders abzuwickeln. Lieber fahre ich stundenlang mit dem Auto und verzichte auf einige Geschäfte oder arbeite ein paar Stunden mehr! Aber VIRTUELL NEIN DANKE!“

Mr. Habe war von Natur aus ein sehr neugieriger Mensch. Was war so eine virtuelle Konferenz überhaupt, was braucht man dafür, was kann die sonst noch so alles – Fragen über Fragen und keine Marsa in der Nähe, keine Carme oder Sida, nur er und der PC und – und diese Avatarin „Selin“.

„Dann schauen wir uns einmal an, was diese „Selin“ so drauf hat“, dachte Mr. Habe und klickte auf das kleine Bild von Selin. Eine kleine, weibliche Gestalt, sportlich, dunkle Haare und große Augen, in Freizeitkleidung war am Bildschirm erschienen und forderte ihn auf, eine Frage zu stellen. Ein Texteingabefenster öffnet sich.

„Wie funktioniert ein virtuelles Meeting und wozu brauche ich das und übrigens was weißt du noch alles zu diesem Thema…?“, tippte Mr. Habe Buchstabe für Buchstabe. Nach 10 Minuten war er fertig und drückte die Enter-Taste. „Jetzt kann ich mir bestimmt einen Kaffee holen gehen weil sie ein bisschen Zeit braucht zu antworten“, dachte er und lehnte sich zurück. „Sag mir zuerst wozu du das brauchst, was du vorhast und welche Voraussetzungen es gibt, damit ich dir Antworten kann. Am Besten du setzt dein Headset auf, dann kannst du reden und ich antworte dir direkt …Du tippst ja wirklich wie eine Schnecke“, schrieb Selin in Sekundenbruchteilen auf den Bildschirm. „Mein Gott ist die „Kleine“ schnell“, schoss es ihm durch seinen Kopf. „Ich habe kein Headset“, tippte er mühevoll und drückte nach 5 Minuten die Entertaste. Hat diese Kleine gerade geschmunzelt oder hat das getäuscht… Und es gab immer noch so viele Fragen. Nach weiteren 5 Minuten drückte er die Entertaste. War das anstrengend!

„Klick mit der rechten Maustaste auf mich und wähle die Option Avatar vom Bildschirm lösen“, schrieb Selin zurück. Im dritten Versuch klappte es und auf einmal war Selin am Bildschirm verschwunden, einfach weg. „Was habe ich jetzt schon wieder angestellt?!“, schoss es ihm durch den Kopf. Auch ein mehrfaches Drücken auf die Zaubertaste „Esc“ brachte sie nicht zurück. Sie war weg! Und er hatte sie irgendwie gelöscht. ER und Computer, das war kein gutes Team. Er wurde das Gefühl nicht los, auf einmal nicht mehr alleine im Raum zu sein, beobachtet zu werden…

Mr. Habe drehte sich vorsichtig um, da stand jemand, ca. 160 cm groß, dunkelhaarig, große Augen, sportlich, Freizeitkleidung und mit einem Schmunzeln im Gesicht. „Suchst du mich…am PC?“, sprach die Frau. „Was -. wo – wer – wie …?“, Mr. Habe fand keine Worte.

„Bekomm jetzt nur keinen Herzinfarkt, das fehlt mir gerade noch!, Selin klang besorgt, „du musst mehr auf dich aufpassen!“ Sie kam auf ihn zu. „Setzen wir uns doch irgendwohin, wo es gemütlicher ist“, schlug sie vor und lies sich mit der größten Selbstverständlichkeit in einen seiner großen Ledersesseln fallen. „Ist das angenehm, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie unbequem so ein Bildschirm ist!“ “Sie duzt mich!!“, schoss es Mr. Habe durch den Kopf. Niemand im Haus tat dies, er war der Chef. „Hast du was zu trinken, Mr. Habe?“, fragte Selin. Er schenkte ihr und sich Wasser ein und setzte sich zu ihr, immer noch sprachlos. „Ich glaub das geht einfacher so, wenn ich zu dir komme, für ein Gespräch. Wenn du Tage brauchst für ein paar Buchstaben und nicht einmal ein Headset hast“, Selin schmunzelte unergründlich und begann ihre Hände zu dehnen. „Was sollte das jetzt wieder?“, dachte Mr. Habe. „Du musst verstehen, dauernd im Bildschirm, flachgedrückt, da brauch ich Bewegung!“, erklärte Selin und begann den Nacken zu kreisen.

Sie streckte sich noch einmal, lehnte sich nach vorne und bekam einen geschäftlichen Ausdruck. „Gehen wir es an. Was kann ich für dich tun, Mr. Habe?“ Selin schaute erwartungsvoll zu ihm. Jetzt brachen bei Mr. Habe die Dämme: „Ich versteh die Welt nicht mehr, ich bin doch ein guter Unternehmer! Ich kann gut mit Leuten reden, ich bin erfolgreich, ich brauch den Kontakt, ich kümmere mich um Zukunftskonzepte und dann das! Ich sitze mit einem Headset vor einem Computer, sehe mich am Bildschirm, rede mit einem Videobild und bin angeblich in einem Meetingraum in Palästina und von dort zeichnet irgendwer auf meinem Bildschirm und die Sida schreibt und zeichnet für mich und …“ Mr. Habe ging die Luft aus. „Ich habe das Gefühl im falsche Film zu sein! Ich steh neben meinen Schuhen…Ich bin mein eigner Schatten! Was passiert da?…Ich bin bald überflüssig! Ich habe keine Ahnung, wie ich in Zukunft meine Firma führen soll, ohne Carme und Sida wäre ich heute so was von blamiert dagestanden, ohne Marsa hätte ich keinen Überblick mehr und dann bekomme ich noch nächtliche Nachhilfe von der Jami-Tant“ Mr. Habe holte tief Luft: „Wo ist die gute alte Zeit geblieben? Die Welt die ich kannte, früher – ja früher da war alles viel, viel besser…“, er seufzte und saß im Sessel, wie ein kleines Häufchen Elend. ER der große Mr. Habe – am Ende.

Sellin stand auf einmal neben ihm, sie ging nicht, sie war einfach da – aber was war von einem Computergeist schon zu erwarten?! Sie setze sich auf den Sesselrand und schaute ihn lange an. „Willst du wirklich wissen wie es war und wie es sein wird, willst du das wirklich erfahren?“, Selin war auf einmal sehr ernst und sah ihn mit ihren großen braunen Augen an – ganz tief: „Du weißt Mr. Habe, früher waren es die Dschins aus der Flasche, die die Wünsche ihrer Herren erfüllen mussten. Heute sind es wir, die Avatare, die aus dem Computer kommen und unseren Benutzern helfen.“ „Das heißt, ich bin dein Herr“, rutschte es Mr. Habe heraus. Selin wurde sehr ernst: „Herr? – DU meiner?“, sie begann zu lachen, „nein! – Das ist lange her! – Du bist Anwender und ich helfe, und HERREN, die gibt’s für uns nicht mehr. -Schon lange nicht mehr, auch wir gehen mit der Zeit.“

6        Mr. Habe und die Steinzeitsippe

„Willst du jetzt in die Vergangenheit und Zukunft sehen?“, Selin sah ihn wieder mit diesen braunen Augen aus nächster Nähe an. „Komisch“, dachte Mr. Habe, „sie hat mir nie die Hand gegeben, und mich noch nie nirgendwo berührt. Sie ist so nah und trotzdem fern – und jetzt will sie mit mir in die Vergangenheit und in die Zukunft – aber was soll’s? Er war heute schon in Palästina, warum nicht auch ein paar Jahre zurück reisen?“ Deshalb antwortete Mr. Habe ihr: „Einverstanden Selin, gehen wir es an. Wo ist das Flugzeug?“ Mr. Habe stand ruckartig auf.

Selin reichte ihm die Hand, ging mit ihm zum PC und tippte mit dem anderen Finger auf den Bildschirm. Dieser öffnete sich wie von Geisterhand und auf einmal fühlte Mr. Habe  einen kräftigen Sog. Er verschwand in einem Tunnel voller Farben, der rotierte und unendlich lang schien. Immer schneller wurde er angezogen und dann stand er plätzlich auf einer Lichtung. Die Umgebung kam ihm irgendwie bekannt vor. Die Berge in der Ferne, die hatte er schon gesehen, aber es gab keine Häuser, keine Straßen… „Wo sind wir Selin?“, er drehte sich zu ihr um. „Frag’ nicht WO, Mr. Habe, frag’ lieber WANN sind wir!“, antwortete sie. Selin lachte:“Du bist im Altpaläolithikum[3]. Das war so ca. 2 Mio. Jahren vor Christi Geburt und hier wird viiieeeel später erst dein Haus stehen!“ Mit diesen Worten trat sie ein paar Schritte zur Seite: „Komm’ aber nicht her! Du würdest sofort versinken, ich stehe ÜBER einem tödlichen Moor! Wir gehen jetzt einen alten Freund von mir besuchen, er ist der Sippenführer der Bagleis und heißt Haafri.“ Selin führte ihn sicher über verschlungene Pfade durch einen dichten Urwald, an Sumpflöchern vorbei. Während er sich bemühte Schritt zu halten, hörte er in der Ferne Tierlaute, Vogelgeschrei – unbekannt und bedrohlich. „Selin, warum bringst du uns nicht direkt zu diesem Haafri? Du kannst das ja, warum muss ich hier durch diese gefährliche Wildnis? Außerdem habe ich die falschen Schuhe an!“ konterte er.

Er blickte auf die traurigen Überreste seiner neuen schwarzen Lackschuhe. „Du sollst sehen, in welcher Gegend Haafri und seine Sippe lebt, damit du dann besser verstehst. Und dein Gewand – gute Idee – das ändern wir!“ Mit einem Schnipsen ihrer Finger war er neu eingekleidet, was heißt eingekleidet? – Fell, Stroh, Binsen um den Körper, Lederlappen mit Stroh ausgestopft an den Füßen. Mr. Habe fühlte sich wie im Fasching, nur die Geräusche in der Ferne zeigten ihm, es war TODERNST.

Nach einer Ewigkeit und trotzdem nur nach einer kurzen Wegstrecke sah er in der Ferne Rauch, hörte andere Geräusche und erkannte, sie näherten sich menschlichem Wohngebiet – menschlich?! – Mr. Habe bleib abrupt stehen “Selin, sag mal, wie sind sie? Werden sie mich verstehen? Wundern sie sich nicht? Stören wir?“ Fragen über Fragen. War es vielleicht doch nicht so gut in die Vergangenheit zu reisen? Zuerst Palästina und jetzt hierher. Unbehagen stieg in Mr. Habe hoch. „Keine Sorge“, erklärte ihm Selin, „sie merken nicht einmal, dass du nicht aus ihrer Zeit kommst. Du bist für sie ein Gast, der Unterschlupf sucht und Sprache, das lass’ meine Sorge sein. Ich übersetze das direkt in euren Köpfen. Das merkt niemand, du musst nicht die Sprache des Altpaläolithikums lernen. Nach dem Besuch werden sie alles wieder vergessen, ich mache das nicht zum ersten Mal – vertrau mir einfach!“

Sie streckte ihm die Hand entgegen und im nächsten Moment standen sie unmittelbar vor einfachen Hütten, nein keine Hütten, das waren Gruben, mit Ästen darüber und Blättern, kreisförmig angeordnet. Mr. Habe war nicht sehr groß, aber hier war er ein Riese. Ein für dortige Verhältnisse stattlicher Mann kam auf sie zu. Seine vielen Schmuckstücke, seine andere Art von Kleidung, die Erfurcht seiner Umgebung zeigte, er stellte etwas dar. Er war wichtig, er zeigte in jeder Lage, wer der Herr hier ist. Das musste Haafri sein, er war der Chef hier. Ohne Furcht näherte sich Haafri, berührte Mr. Habe, roch an ihm, zupfte an der Kleidung, umrundete ihn, schaute ihn ganz genau an. Wieder und immer wieder, nahm ihn bei der Hand und zog ihn dann in die Mitte, dort wo die große Feuerstelle war. Irgendwie kam Mr. Habe das alles so bekannt vor. Natürlich ging er in seiner Zeit nicht zu anderen Menschen und roch an ihnen, aber er „konnte sie riechen“, oder eben nicht, und das war ein wichtiges Signal, ob er jemanden „mochte“ oder nicht. Er sah auf die Kleidung, was jemand trug, wie genau oder schlampig diese Kleidung angezogen war, wie sauber oder schmutzig jemand war und natürlich wie jemand aussah. „Es hat sich nicht wirklich viel verändert.“, dachte Mr. Habe, „wir suchen immer noch den Kontakt, die Nähe, um jemand einzuordnen.“

Haafri begann hektisch herumzulaufen und laute Rufe auszustoßen, seine Hektik übertrug sich auf die ganze Sippe, alle rannten laut rufend herum. Er ruft seine Sippe zusammen, schoss es Mr. Habe durch den Kopf. Immer mehr kamen. Am Ende saßen ca. 40 Personen am Feuer.

5 Männer standen auf, begannen zu tanzen und schienen etwas zu spielen. Die Sippe schaute gespannt zu, stimmte in Rufe ein. Kinder sprangen auf und ahmten die Bewegungen nach. Diese Männer waren auf der Jagd und zeigen jetzt der Sippe wie es ihnen ergangen ist: was passiert ist, was gefährlich war, wie tapfer sie waren. Das ist wichtig, das fördert den Zusammenhalt, die anderen teilhaben zu lassen, mitzumachen, gemeinsam etwas zu erleben und dann es gemeinsam aufzuarbeiten.

„Schau’ dir die Kinder an!,Sie lernen durch nachahmen und werden so immer mehr Teil der Gemeinschaft“, erklärte Selin. „Wie bei uns im Goldenen Hirschen“, schoss es Mr. Habe durch den Kopf, „wenn der Fußballverein ein Spiel gewonnen hat, dann spielen sie dort auch einzelne Szenen nach, wieder und immer wieder, begleitet von lautem Grölen der begeisterten Fans an den Tischen. Wie bei uns…“ „Ja,“ sagte Selin, „wie bei euch“ Sie schien seine Gedanken lesen zu können. „Die Männer können auf der Jagd nur erfolgreich sein und überleben, wenn sie sich blind vertrauen können, wenn sie sich kennen. Die Frauen sammeln gemeinsam, kochen gemeinsam, tanzen und singen gemeinsam und warum das alles? Sie bekommen die Kinder und dann müssen sie zusammenhalten. Dann brauchen sie das Vertrauen, sie müssen sich verlassen können. Die Männer auf der Jagd, im Kampf und die Frauen beim Sammeln, kochen und Kinderbekommen.“, erklärte Selin.

Mr. Habe fühlte sich irgendwie wohl, er kannte das, die Stammtischrunden, die gemeinsamen Ausflüge, die Feiern nach großen Geschäftsabschlüssen und die blühenden Geschichten der Jäger, wenn sie von ihren Abschüssen erzählten. Ja das war die alte Zeit und es hat sich bis zu seiner Gegenwart fast nichts verändert: Kontakt, Nähe, Geruch, Aussehen, fühlen, zeigen, sich messen; ein Erfolgsgeheimnis seiner Firma war der Zusammenhalt, sich zu kennen, die Stärken und Schwächen, sich auszuhelfen, sich zu vertrauen. – Es war alles so ähnlich.

Haafri schob Mr. Habe in den Kreis und forderte ihn auf etwas von sich zu erzählen, er war der Gast, der große Unbekannte. Das war noch nie ein Problem für Mr. Habe, Steinzeit oder Gegenwart, Reden, das war seine Stärke. Er erzählte von seiner Firma, der Philosophie des Unternehmens, seinen Strategien für die Zukunft.

Irgendwann stand Haafri vor ihm und fragte ihn: „wann fängst du endlich an, du hast noch kein Wort gesagt…?“. Hilfesuchend blickte er zu Selin. In seinem Inneren spürte er, wie sie ihm zuflüsterte:„was würdest du beim Goldenen Hirschen reden, was erzählen, wenn du fremde Leute zum ersten Mal triffst?“ „Natürlich nichts über Firma und Umsatz“, schoss es ihm durch den Kopf und er begann nochmals. Erzählte von seinen Kindern, seinen Hobbys, seinen Pannen und Erfolgen als Fischer, mit vielen Gesten und Geschichten. Er sah, wie die Blicke fasziniert auf ihn gerichtet waren, wie sie lauschten, wie die Kinder seine Gesten nachahmten. Er wurde Teil von ihnen. Ja das war es, das war seine Welt, nur nicht seine Zeit.

7        Mr. Habe trifft den Homo Sapiens 2.0

Plötzlich stand Selin neben ihm, die Zukunft ruft, die sehr, sehr ferne Zukunft…

Sie nahm Mr. Habe bei der Hand, das Signal zum Aufbruch, sie deutete mit der Hand einen Kreis an und der färbige Tunnel öffnete sich und zog ihn hinein in die unendlichen Tiefen der Zeit.

Dieses Mal stand er nicht auf einer Lichtung, er war in einem Gang gelandet und durch massive Fenster, die sich nicht öffnen ließen, sah er Stahl, Glas, aber keine Berge, keine Bäume, keine Wiesen. „WANN sind wir jetzt?“, versuchte Mr. Habe die Frage richtig zu stellen. Wir sind hier 2 Millionen Jahre nach Christi Geburt. Du bist in einem Büro/Wohnungsblock, der genau dort steht, wo deine Firma stand. Wir werden jetzt xy12343ede23hhe6787dse besuchen, er ist hier der Chef und ein paar Gene hat er auch von dir. Selin öffnete eine Tür und er stand schon in einem Raum, der wie ein Büro aussah, aber nicht eines, wie er es kannte. Keine Blumen, keine Farben, nüchtern, kalt, die MitarbeiterInnen saßen wie die Sardinen aneinander gepfercht, grau gekleidet. An der Wand, damit er alles im Überblick hatte, saß eine dominierende Person, er hatte mehr Platz als die anderen und trug färbige Kleidung. „Das muss xy12343ede23hhe6787dse sein“, dachte Mr. Habe und bahnte sich den Weg durch die Menschen.

Niemand erwiderte seinen Gruß, niemand sah ihn an, aber sie machten sofort Platz, also sahen sie ihn. xy12343ede23hhe6787dse erhob sich nicht, ignorierte die ausgestreckte Hand und sagte ohne eine Sekunde von seinen Unterlagen aufzuschauen: „Mein Nickname ist HS2, benutzen sie ihn bei der Kommunikation mit mir, stellen sie ihre Fragen jetzt!“ Mr. Habe war sprachlos, so was Unhöfliches und Arrogantes hatte er noch nie erlebt. Wäre dieser HS2 bei ihm, er würde ihn SOFORT entlassen, also das war doch die Höhe! Mr. Habe versuchte es nochmals, indem er ihm die Hand hinstreckte, deutlicher, näher fordernd. Er stellte sich wieder vor, mit Namen und dem Hinweis, dass hier einmal seine Firma stand und er freue sich… – na ja das Übliche halt bei Begrüßungen. HS2 reagierte mit dem Hinweis, dass dieser Informationssaustausch nur mit geringen Inhaltsabweichungen vor genau 3 Minuten 50 Sekunden stattgefunden hat, dass es bekannt sei, dass er früher hier seine Firma hatte und es verboten sei, Zeit zu stehlen. HS2 arbeitete weiter ohne aufzusehen.

Mr. Habe war endgültig sprachlos, Selin hat ihm ein Gespräch versprochen und jetzt wurde er behandelt wie ein Lausbub – das war zuviel! Mr. Habe drehte sich um und bahnte sich wieder den Weg durch die engen Menschenreihen. Er war noch nicht an der Tür, tauchte plötzlich HS2 neben ihm auf, starrer Blick und ohne Reaktion. Höflich wie Mr. Habe war, öffnete er die Tür und lies HS2 den Vortritt.

Kaum war HS2 außerhalb dieses unwirtlichen Ortes, drehte er sich um, öffnet die Arme, umfasste Mr. Habe an den Oberarmen, drückte ihn und strahlte über das ganze Gesicht: „Schön Sie endlich persönlich kennenzulernen! Sie sind ja der Stammvater dieses Hauses, es mir eine solche Freude und Ehre! Kommen sie, gehen wir etwas trinken – etwas ganz besonderes. Warten Sie es ab!“ Sagte HS2. Er nahm ihn bei der Hand und zog ihn weiter. Sie betraten einen Raum, der aussah wie ein altes Cafe, wie eines aus der guten alten Wiener Kaffeetradition. „Wir haben schon sehr lange keinen echten Kaffee mehr“, stellte HS2 fest, „aber wir haben eine sehr gute, genetisch- molekulare Nachbildung.“ An der Wand war ein Bildschirm, nein ein Bild, nein so was wie eine Figur… HS2 sah seine fragenden Blicke: „ja das ist ein Bild von ihnen Mr. Habe, ein Hologramm, realistisch „gerendert“, angepasst an die jeweilige Situation, wie sie sich verhalten hätten.“ Mr. Habe war sprachlos, er verstand kein Wort, aber er stand hier herunten und da oben stand er noch einmal.

Strahlend bediente HS2 einen Nachbau einer Espressomaschine, es begann nach Kaffee zu riechen. HS2 redete wie aufgezogen, von seiner Familie, seinen Kindern, seinen Hobbys, seinen Freunden. „Komisch“, dachte sich Mr. Habe „der Kerl ist ja wirklich ein sympathischer, sehr menschlicher Typ. Vielleicht war er etwas gestresst im Büro.“ Mitten im Satz unterbrach HS2 seinen Redeschwall, drehte sich um und eine junge Frau erschien mit ein paar Grafiken. HS2 war wieder der Alte vom Büro vorhin, wortkarg, außer: „ja, nein, drehen, ändern“, sagte er nichts. So grußlos wie das Spektakel begann, so grußlos endete es. „Das war eine gute Freundin, meine Assistentin. Ich habe sie seit 2 Monaten nicht gesehen, sie hat mir gerade ihre Arbeitsergebnisse gezeigt, die sind wirklich außergewöhnlich.“, erklärte HS2.

Mr. Habe war sprachlos. „Sagen Sie HS2“, fragte Mr. Habe, „warum sind Sie zu Ihren MitarbeiterInnen so unfreundlich, so kalt? Warum grüßt bei Ihnen niemand, schaut Ihnen niemand in die Augen?“ Er wirkte wirklich irritiert, er, der Mr. Habe, der stolz darauf war, jeden Mitarbeiter zu kennen, ihre Geburtstage, der mit ihnen am Kaffeeautomat Stunden verbrachte um zu plaudern, am Abend im Goldenen Hirschen mit einigen Karten spielte. Gut auch er war ab und zu kurz angebunden, geistig abwesend, wenn er angesprochen wurde, vergriff sich manchmal im Ton – aber zu erleben, wie sein Nachfolger zu einem Kommunikationsmonstrum verkommen war – er war entsetzt!

HS2 setzte ein breites Lachen auf, das er nur hatte, wenn er nicht gerade „beschäftigt“ war und erwiderte: „Mr. Habe, wir haben das Jahr 2.000.2007. Es ist einiges passiert, seit sie hier das Zepter schwangen. Sie wissen sicher, dass die Natur über Millionen von Jahren den Menschen zu einem sozialen Erfolgsprodukt entwickelte. Schon in der Steinzeit konnten Menschen nur überleben, wenn sie sich zu sozialen Gruppen zusammenschlossen, wenn sie das von Kindheit an trainierten. – Tag und Nacht. Die Sprache, der aufrechte Gang, die fünf Finger, alles das sind Ergebnisse eines unendlichen langen Prozesses der Evolution. Der Mensch wurde nicht „mal schnell“ am Reißbrett entworfen, wo ein paar Prototypen bloß ein bisschen aufgepeppelt wurden. Nein, das dauerte Millionen von Jahren und war am Ende das Produkt einer Gesellschaft, die sich sah, die sich täglich traf, die zusammen jagen gingen, kochten, arbeiteten und Kinder bekamen. Irgendwann so ab dem 19/20. Jahrhundert, als die Grenzen weit wurden, die Schifffahrt, die Eisenbahn und dann die Flugzeuge Entfernungen reduzierten, wurde die regionale/lokale Gesellschaft zur globalen Weltgemeinschaft. Was eine Brieftaube in Tagen schaffte, erledigten eMails in Sekunden. Die Natur hat alles hervorragend entwickelt, nichts nicht geplant, alles „entstand“. Kommunikationsaustausch war schon immer eine soziale Triebfeder, eine absolute Notwendigkeit des Menschen. Ob Rauchzeichen oder später Chats, ob Höhlenmalerei und später Blogs, ob Muschelblasen oder später Telefonie, ob Flaschenpost oder später eMails – Menschen haben immer den Kontakt gesucht. Die Globalisierung war für dieses soziale, kommunikationsbetonte Wesen etwas ganz neues, etwas für das „es“ nicht „entwickelt“ worden war. Der Satz „Kommunikation kennt weder Zeit noch Raum“, der wird einmal von Ihnen stammen, aber es wird ihn niemand verstehen oder verstehen wollen. Der Mensch war damals, die am höchsten entwickelte Spezies, nur sein Verstand in Bezug auf Konsequenzen für Verweigerungen von Realitäten war klein, wie der eines Mitgliedes einer Steinzeitsippe…Die Natur braucht Zeit.

Die Spezies Mensch stand damit am Spiel, globale Beziehungen scheiterten, weil man sich zu wenig kannte, Vertrauen zerbrach, Gleichgültigkeit, ja Kriege waren die Folge. Brutaler Wettbewerb um Ressourcen war die Folge, so wie sich früher Stämme bekriegten, kämpften jetzt Länder und Firmen. Der Verstand sagte dem  Menschen, das kann so nicht sein, das Gefühl aber entschied zu oft, dass unbekannte Personen, nicht in Teams akzeptiert wurden, damit Fremde waren und Fremde hatten es schon immer schwer unter anderen Menschen.

Dann hat die Natur begonnen den Menschen weiterzuentwickeln. Wie damals vor Millionen von Jahren, als der Mensch sich aufrichtete, der Rücken, das Becken, die Füße und Hände sich anpassten um gehen zu können, wurde jetzt die linke und rechte Gehirnhälfte weiterentwickelt. Immer wenn es „geschäftlich“ wurde, wenn der Verstand wichtiger war als das Gefühl, dominierte die linke die rechte Gehirnhälfte. Früher war es umgekehrt. Bis es dann irgendwann kein „abwägen“ mehr im Gehirn gab, die rechte Hälfte wurde in geschäftlichen Beziehungen überhaupt ausgeschaltet weil sie störte. Damit war es egal, ob der Gesprächspartner im Zimmer oder irgendwo anders war. Höflichkeiten, soziale Kontakte, Teambuilding – all das war globaler Luxus, es zählt die Ratio, die Leistungsoptimierung, das Ergebnis und da waren Gefühle hinderlich – die Arterhaltung war wichtiger. So wurde die linke Gehirnhälfte zu einer Art Supercomputer für rationale Entscheidungen. Wenn dieser „Supercomputer“ entschied, dass es sich um  „geschäftliche“ Angelegenheiten handelt, wurde das Gefühl weggeschaltet – sofort – ohne das Recht auf Einspruch.

Natürlich gibt es die rechte Gehirnhälfte noch, unsere Gefühle wurden tiefer und variabler, aber nur bezogen auf unsere nächste Umgebung, so wie wir beide es jetzt hier erleben. Sobald es geschäftlich wird, schaltet das Gehirn um. HS2 bedeutet übrigens Homo Sapiens 2.0, die Weiterentwicklung des Homo Sapiens, so wie du einer bist, einer der Version 1.0. Ich zähle als 2.0 derzeit zu einem der erfolgreichsten Exemplare der Version 2.0, deshalb auch mein Nickname HS2. Irgendwann wird es eine Version 3 und dann eine Version 4 geben. Derzeit reden wir noch, aber es gibt bereits Menschen, die Daten austauschen wie Computer, es ist einfach praktischer, spart Energie und geht schneller – auch über Galaxien hinweg – wir leben ja nicht nur auf der Erde und schon gar nicht nur hinter dem Mond.“

HS2 wurde plötzlich wieder starr, drehte sich zu dem Hologramm und begann erneut so kurz zu sprechen.

Mr. Habe rieb sich die Augen, klappte den Mund zu, packte Selin bei der Hand und brachte nur heraus: „Bring mich zurück! Das muss ich irgendwie verhindern! So darf der Mensch nicht werden! Wenn das bekannt wird, dann werden wir sicher behutsamer mit unseren Kontakten umgehen – Selin, BITTE zurück SOFORT!!!“

8        Mr. Habe als Berater des Vorstandes des Ponyexpress’

Selin nahm Mr. Habe durch den färbigen, endlosen Tunnel in eine neue Zeit mit. Das Land war viel weiter, endlos weit, das konnte nicht sein zu Hause sein. Die Häuser hinter ihm waren einfach, aus Holz, einige aus Stein, in der Ferne sah er eine Kuhherde, die von laut johlenden Männern auf schnellen, wendigen Pferden vorwärts getrieben wurden.

„WO und WANN sind wir jetzt Selin?“, er blickte sie fragend and. Selin antwortete: „Wir sind jetzt im Jahr 1860 in Nord Amerika, lies mal diese Anzeige hier!“ Damit deutete sie auf ein schlecht gedrucktes Papierstück:

Wanted: Young, skinny, wiry fellows not over 18. Must be expert riders willing to risk death daily. Orphans preferred“ Gezeichnet war es von einem gewissen William H. Russell[4].

„Hier entsteht gerade der Pony Express, diese Postlegende, die über Jahrzehnte Amerika mit Post versorgte, Tag und Nacht, bei jedem Wetter. Bis dahin war die Postzustellung zufällig, durch Reisende, Viehtreiber oder Jäger erfolgt.

Ach ja, bevor ich es vergesse: 1829 ist in Nord Amerika schon die erste Eisenbahn gefahren, in Delaware entlang des Hudson Rivers. 40 Personen konnten so mit atemberaubenden 10 Meilen die Stunde damals mitfahren.“, erklärte ihm Selin.

„Und warum zeigst du mir das alles Selin?“, Mr. Habe schaute neugierig in der Gegend herum. Sie nahm seine Hand, der Tunnel tat sich auf und dann stand er vor einem zweistöckigen Gebäude, massiver als die letzten, die er gerade gesehen hat. „Wir sind jetzt im Jahr 1864. Der Pony Express ist Markführer, William H. Russell der unumstrittene Chef, ach ja und die „Northern Pacific[5]” hat gerade die erste transkontinentale Eisenbahnstrecke in Nord Amerika eröffnet. Du wirst gleich Mr. William H. Russell treffen, der damals aus der Verzweiflung über die unsichere Postzustellung diesen Pony Express gegründet hat und diesen in kürzester Zeit zu einem der wichtigsten Unternehmen in Nord Amerika gemacht hat. Sie haben eine Krisensitzung, da sie sich nicht sicher sind, ob die Eisenbahn eine Gefahr darstellt oder nicht – es geht sehr hitzig her – ach ja, du bist als „Experte für das Eisenbahnwesen geladen“. Mach’ dich auf etwas gefasst, du gehst in die Höhle des Löwen!“, ratschte Selin herunter. Mr. Habe steckte plötzlich in einem Outfit, das er von alten Westernfilmen kannte, aber nicht die Cowboy Version, sondern die mit langem Gehrock und hohem Hut. Er klopfte an eine schwere Tür und wurde zu einem Platz ganz am anderen Ende des Saales geführt. Etwa 50 Personen waren im Saal und beobachteten ihn mit dunkler Miene. Er bemerkte die Kälte, die ihm entgegenschlug. Ganz kurz wurde er vorgestellt, dann begann William H. Russell zu reden. Auf großen Papierbögen waren Landkarten gezeichnet, überall steckten Fähnchen, rote, gelbe, grüne und zeigten die Stationen, von ganz klein bis ganz groß. Auf anderen Papierbögen standen mit gestochenscharfer Handschrift in große Zahlenreihen Umsätze, Zeiten, Kosten usw. … Insgeheim dachte sich Mr. Habe: „Wartet mal ab bis ihr Powerpoint seht“. – Aber er hatte kein Powerpoint, er hatte nichts, außer dem Wissen, wie es einmal sein wird…und er hatte seine Überzeugungskunst, damit musste es doch zu schaffen sein.

Nach über einer Stunde sehr ausführlicher Erklärungen, kam Mr. William H. Russell zum Ende seiner Ausführungen und setzte sich unter großen Zustimmungsrufen auf seinen Platz an der Spitze des Besprechungstisches. Mr. Habe wurde nach vorne gebeten und suchte zuerst vergeblich die Plakatstifte, die waren ja noch nicht erfunden, dafür lagen Kreidestücke in einer Schale und ein langer Stab zum ‚Zeigen stand an der Wand.

Er begann mit einem Vergleich aus dem Mittelalter und beschrieb den Streit der Mönche, die damals die Bibeln mit der Hand abschrieben mit den ersten Buchdruckern, um zu zeigen, dass es immer schon Technikkonflikte gegeben hat und wie damit umgegangen werden kann. Mitten in seinen Ausführungen wurde er durch einen kleinen Mann mit hochroten Kopf unterbrochen, wann er endlich zur Sache komme, es gehe um den Pony Express und die Eisenbahn und nicht um Mönche und Buchdruck. Mr. Habe startete einen neuen Versuch, wurde aber durch Zwischenrufe und dem Hinweis von Mr. William H. Russell zum Thema zurückgeführt. Er hätte ihnen noch gerne erzählt, wie die Indianer überzeugt waren, gegen die Feuerwaffen der Weißen mit nackter Haut anzukämpfen und erst nach blutigen Niederlagen erkannten, dass Medizinmänner niemanden unverwundbar machen können. „Es konnte einfach nicht sein, was nicht sein darf! Menschen ändern sich nicht!“ dachte Mr. Habe, „wie kam ihm das auf einmal bekannt vor.“ Die Indianer ließ er aber dann doch aus, denn er hatte keine Ahnung, was das für wilde Reaktionen erzeugt hätte. Also startete er Plan B, „Logik und Verstand“, das musste ja funktionieren bei den führenden Köpfen des komplexesten Logistiksystems von Nord Amerika. Er ging zur Karte, markierte mit einer roten Kreide die Stelle wo 1929 die erste Eisenbahn gefahren war, zog eine gerade Linie von einer Seite zur anderen und schrieb 1864 darüber. Ein Raunen ging durch den Saal, war das der Umschwung? Ein hagerer Mann meldete sich ungefragt zu Wort und wollte wissen, was so eine „gerade Linie“ für einen Sinn ergibt, wenn sie nur 10 Meilen schnell und nur ein paar Personen mitnehmen kann. „Er hatte das Wort Eisenbahn nicht einmal in den Mund genommen“, dachte Mr. Habe. Ein gut trainierter Pony Express Reiter schaffe eine vielfache Geschwindigkeit, dazu gäbe es ja die Wechselstationen für Pferde und wer säße schon in so einem stickigen Käfig und zahle dafür, wenn er die gleiche Strecke am eigenen Pferd kostenlos schneller bewältigen könne. Außerdem, schloss er, wie oft fahre man wirklich entlang „dieser Linie“, müsse man dann zu Fuß weitergehen oder würde man dann getragen?

Lautes Gelächter im Saal – Mr. Habe wurde es zusehend unangenehm hier. „Dieses Stahlross braucht ja Unmengen an Kohle, wer garantiert uns, dass die immer verfügbar ist? Bei Überschwemmungen gibt’s dann wochenlang keinen Verkehr, unsere Reiter sind auch im größten Schneesturm unterwegs. Was ist dann?„, kam es aus der rechten hinteren Ecke, von einem sehr dicken Mann mit langem Schnauzbart.

Mr. Habe bemerkte, dass keine Frauen im Raum waren. „Und was ist mit den Frauen und Kindern, wenn die verreisen wollen?“, fragte er in Richtung des dicken Mannes, „was ist mit den alten Leuten? Sollen die auch reiten oder tagelang auf einem Planenwagen sitzen?“ Jetzt war die Hölle los, Frauen die verreisen, Kinder auf der Wanderschaft, alte Leute am Weg… Es hagelte nur so an Fragen und Vorwürfen. Frauen haben auf den Höfen zu sein und die Kinder zu erziehen und die alten Leute werden solange wie möglich zur Arbeit gebraucht, wozu vereisen, das war viel zu gefährlich, es gab immer wieder Zusammenstöße mit Indianern und die endeten meist blutig. Da waren Frauen, Kinder und alte Leute nur im Weg. Was sollen diese unrealistischen Ideen? Mr. Habe war sprachlos, das durfte nicht wahr sein, das konnte nicht wahr sein!

Bevor er weiterreden konnte, ging Mr. William H. Russell nach vorne, schnappte sich eine blaue Kreide, stellte sich demonstrativ zwischen die Karte und Mr. Habe und malte Linie auf Linie auf die Karte. Dann drehte er sich um und stellte mit stolzgeschwellter Brust fest: „Die Eisenbahn mag es vielleicht einmal schaffen von Ost nach West zu fahren und zurück, aber WIR haben das bessere Wegesystem, wir haben die Stationen, die Reiter und Pferde, deren Futter wächst nach, das muss niemand ausgraben und irgendwohin bringen – und wir haben alle wichtigen Kunden unter Vertrag! Die Eisenbahn hat keine Chance gegen uns![6], sprach er und setzte sich. Die Zuhörer sprangen auf, stürmten nach vorne, beglückwünschten Mr. William H. Russell zu seiner großen Erfahrung und Weitsicht und würdigten Mr. Habe keines Blickes. Er hatte versagt. Hilfesuchend streckte Mr. Habe die Hand in Richtung Selin und verschwand mit ihr sofort im färbigen Zeittunnel.

9        Mr. Habe als Berater der Vereinigung englischer Reedereien

Er war wie in Trance: „Was war das? Was ging hier vor? Was sollte das? Soviel Ignoranz und Realitätsverweigerung, alle seine Argumente, keiner wollte zuhören… Nein, das war sicher eine ganz besonders schwierige Gruppe, das war ein Einzelfall. So schlimm war es in seiner Zeit nie.“

Die Umgebung, in der er sich jetzt befand, war wieder nicht seine heimatliche Umgebung. Es roch nach Fisch, der Wind blies und die Gebäude waren alt und wirkten unheimlich. „WANN und WO Selin sind wir jetzt?“, fragte er und schaute sich, bedingt durch das gerade erlebte verunsichert um.

„Du bist in London, im Jahr 1807. Heute wurde in New York ein mit Segeln bestückter Raddampfer auf den Namen „North River Steam Boat[7]“ getauft und wird auf der Route New York und Albany als Linienschiff eingesetzt. Es wird dir wohl nicht schwer fallen, den Vertretern der Reedereien zu erklären, dass es keinen Sinn macht noch größere Schiffe zu bauen, Clipper[8] sollen sie heißen, um gegen die Dampfschiffe konkurrieren zu können“, erklärte Selin. Ihr verschmitztes Gesicht hätte ihm zu denken geben müssen. Da brauchten keine Schienen gelegt werden, es wurden weniger Besatzungsmitglieder gebraucht und es gab keine Windprobleme, schnell hatte Mr. Habe seine Strategie im Kopf. Das war zu schaffen. Am Eingang wurde er von einem überaus höflichen Butler in Empfang genommen, mit pompösen Zeremoniell wurde er in einen kleinen Besprechungsraum geführt, glücklicherweise waren nicht so viele Personen wie beim Pony Express Fiasko und das ganze Ambiente „roch“ nach Bildung und Wohlstand. Das waren vernünftige Manager der Vergangenheit, mit denen konnte er sicher reden.

Zuerst wurden fast 2 Stunden Höflichkeitsfloskeln und Smalltalk ausgetauscht, Begrüßungsgetränke und kleine Happchen serviert. Er wurde freundlich aufgenommen und fühlte sich willkommen.

„Nun Mr. Habe, was haben sie an Neuigkeiten für uns, von unseren amerikanischen Freunden und deren Versuchen solchen rostigen Öfen das Schwimmen beizubringen?“, begann ein Mann, der sich nicht vorstellte, da er annahm, jeder hier hatte ihn zu kennen, „wie groß schätzen sie die Chancen ein, dass diese „Dampfschiffe“ wirtschaftlich erfolgreich sein könnten. Wir müssen überlegen, ob wir in diese neue unbekannte Technologie oder in Erprobtes setzen werden. Legen sie los, Mr. Habe!“

Das war ganz nach seinem Geschmack, Mr. Habe fühlte neue Kräfte und „legte los“: „Wie Sie vielleicht schon gehört haben, ist heute in New York ein mit Segeln bestückter Raddampfer auf den Namen „North River Steam Boat“ getauft worden und wird auf der Route New York und Albany als Linienschiff eingesetzt. Dieses Boot ist wirtschaftlicher und nicht auf die Launen des Windes angewiesen. Wenn man diesen Meilenstein auf die Hochseefahrt umlegt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis Clipper zu Museumsbooten werden.“ Mr. Habe holte Luft, schaute gespannt in die Gesichter der anwesenden Personen und wollte fortsetzen.

„Entschuldigen Sie Sir, ich will Sie nicht unterbrechen, aber woher wissen Sie, dass heute in News York das „passiert sein soll?. Es gibt so viele Gerüchte und genauso viele werden meistens gleich widerlegt.“, fragte eine Stimme im Raum.

Mr. Habe wirkte etwas verunsichert, er wusste es, aber weil es nicht irgendwo auf einem Papier stand, war dieses Wissen nichts wert. „Gut, stellen Sie sich vor, es klappt und stellen Sie sich vor es würde funktionieren“, Mr. Habe startete einen neuen Anlauf, um durch ein neuerliches Räuspern unterbrochen zu werden: „Bei allem Respekt Mr. Habe, aber was wir brauchen sind Fakten und Faktum ist, dass während wir hier reden Reedereien aus Neuengland mit Eis aus Eiskellern beladen werden, mit entsprechend hoher Geschwindigkeit in die Karibik segeln und sich dort das Eis von den reichen Plantagenbesitzern mit Gold aufwiegen lassen. Ich befürchte so ein schwimmender Ofen wird das Eis zum schmelzen bringen, denn derzeit zeigen alle Versuche, dass ein Dampfschiff nicht mehr als 4.5 Knoten schafft und das fahren unsere Klipper fast schon bei Flaute“. Der Mann schmunzelte .

„Ich habe gehört, dass diese Dampfschiffe gerne explodieren“, mischte sich ein anderer Mann ein und „dass dabei schon viele tapfere Männer gestorben sind.“ „Niemand dachte je daran das Rad neu zu erfinden nur weil es schon lange erfolgreich rund läuft“ ergäntzte ein anderer.[9]

10    Kommunikation kennt weder Zeit noch Raum

Mr. Habe streckte die Hand zu Selin und verschwand im färbigen Tunnel der Zeit, grußlos und sprachlos.

Er saß wieder in seinem Ledersessel, Selin war nicht da, er war alleine, hatte er das geträumt? Vor ihm stand ein uraltes Bild, das ihn als Vierzehnjährigen zusammen mit seinem Vater in einem Segelboot zeigt. Es war das letzte Foto, das er von seinem Vater besaß. In seinem Kopf hörte er die Stimme von Selin, eindringlich und mahnend: „Als du ein Kind warst, da gab es noch kaum Autos, niemand konnte sich vorstellen, dass der wachsende Verkehr jemals zum Problem werden könnte. Aber es gab damals mahnende Stimmen, die auf die vielen Gefahren, vor allem für Kinder hinwiesen, die im Straßenverkehr entstehen würden und es gab Stimmen, die das verlachten, mit aus heutiger Sicht „kranken“ Argumenten. Es gab Bürgermeister, die stolz waren, die Autobahn durch oder zumindest möglichst nahe an eine Stadt zu führen, Prognosen über die Entwicklung wurden als Hirngespinste von Verrückten hingestellt. Hätte er damals lang und breit erklärt, wie schön die Natur ist, wie wichtig es ist, zu Fuß zu gehen, wie schädlich doch diese Autos sind und außerdem, es gibt so wenige davon, da kann doch nichts passieren – würdest du heute vielleicht nicht mehr leben. Er hat sich aktiv für den damals noch nicht vorhandene Verkehrsunterricht in der Schule eingesetzt. Er hat dafür gekämpft, dass eine Fahrradprüfung mit verpflichtender Vorbereitung für Zehnjährige eingeführt wurde und versucht dir auch im Straßenverkehr ein Vorbild zu sein.

Heute bist du dieser „Vater“, der Straßenverkehr ist die Weite des Internets, die Gefahr ist die Isolation in der Globalisierung, die Kommunikationsverarmung durch die Reduktion auf Methoden, für die wir von Natur aus nicht vorgesehen sind und die daraus entstehende Kälte. Frag’ dich, nicht wie du die „globalisierte Kommunikation“ verhindern kannst, kämpfe nicht gegen die Öffnung der Gesellschaft, leugne nicht eine Entwicklung, die kommt, die in vielen Bereichen schon da ist! Zu schnell für viele, für die die Natur Millionen Jahre brauchen wird, um den Homo Sapiens dafür einzurichten, wie sie ihm einmal schon aufstehen lies, greifen, sehen, hören, riechen und schmecken beibrachte. Überleg’ dir, was dein Beitrag sein kann, dich als Vorbild für deine Kinder vorzubereiten und deine Kinder in diese entstehende Welt zu führen, mit Respekt, aber angstfrei, mit kreativen Ideen, aber ohne Druck. Dein Vater wusste, sobald du vor einer Ampel stehst, musst du wissen, was du in dem Moment zu tun hast und nicht darauf zu warten, dass du das irgendwann einmal lernen wirst, wenn die Zeit reif ist. Morgen – Übermorgen – irgendwann vielleicht.

Natürlich gibt es Menschen, die machen Dinge intuitiv richtig, aber sehr viele Betroffene sehen die Zeichen der Zeit nicht, wollen sie nicht sehen, werden in trügerischer Sicherheit gewiegt. Jeder kann das Verschicken von einem eMail in ein paar Minuten lernen. Aber richtige Kommunikation mit allen Sinnen zu „leben“, so wie wir das getan haben, wie du es in der Steinzeit erlebt hast, das dauert, bis das jeder Mensch kann. Das muss der „globalen Gesellschaft“ gelehrt werden und mit ihnen lange geübt werden. Dazu brauchen wir Vorbilder zum Nachahmen und keine Crashkurse. Die Konsequenz ist sonst die Art der Kommunikation, die dich in der Zukunft erschreckt hat. Kalt, gefühllos, nüchtern, distanziert.

Natürlich gibt es Gefahren aber es gibt viel mehr Chancen.“

Ein Blick auf den Computer, da war der „Selin“-Icon. Er drückte auf ihn und es erschien diese kleine Avatarin, die ihn aufforderte zu schreiben, keine Option sie mit der rechten Maustaste zum Leben zu erwecken, keine Möglichkeit mit ihr zu reden. Selin war wieder eine kleine sportliche Figur, mit kurzen dunklen Haaren, braunen Augen und einem Feld, in das er seine Fragen eintippen konnte.

Mr. Habe wurde nachdenklich, wenn das ein Traum war, dann war es ein Alptraum, wenn er das aber alles erlebt hatte, dann steuerten die Menschen vielleicht auf eine menschliche Katastrophe zu.

Er überlegte noch einmal, was er erlebt hatte: die menschliche Entwicklungsgeschichte als Erfolgsstory, durch das Bilden von sozialen Netzwerken, durch die laufende Kommunikation und den engen Kontakt und dann der Übergang in die globale Welt, die er ja auch schon erlebt, mit seinen Kunden, die er nur selten sieht, Freunden, die er aus den Augen verliert und die damit einhergehende Verflachung der Beziehung, neue Geschäftspartner, die irgendwo auf der Welt sitzen und MitarbeiterInnen, die viel unterwegs sind, den Kontakt zu ihm und den KollegInnen verlieren. Alle seine Stärken, das Gespräch, das Kartenspiel, die Kaffeemaschinenstrategie, nichts von dem würde in der neuen Welt überleben, nicht von heute auf morgen, aber werden seine Kinder und deren Kinder, das noch so erleben? Wärme, Gefühle auch über Grenzen hinweg, oder werden sie in der Distanz kälter, sprunghafter?

 

Mr. Habe öffnete ein leeres eMail und begann zu schreiben:

Liebes Team,

mir wird bewusst, dass wir auf Dauer – wenn wir nichts unternehmen – unsere große Stärke des zwischenmenschlichen Kontaktes nicht aufrechterhalten können, unterschiedliche Zeitzonen, verschiedene Arbeitsstile und große Entfernungen zwingen uns immer öfters elektronisch zu kommunizieren. eMails sind da keine Lösung, Telefonate auf Dauer zu teuer, regelmäßige Treffen wünschenswert, aber auch nicht immer machbar. Jammern bringt uns nicht weiter.

Ab sofort richten wir eine Arbeitsgruppe ein, die sich dieses Themas annehmen wird.

Es ist meine Überzeugung, dass es möglich ist, unsere Stärke „Teams“ zu bilden auch in die Virtualität übertragen zu können.

Wir werden viel ausprobieren und dabei auch viel lernen.

Wir stellen diese Arbeitsgruppe unter das Motto: Kommunikation kennt werden Zeit noch Raum.

 

Mr. Habe

P.S.: ich werde selbst auch aktiv an diesen Vorhaben teilnehmen!

 

Er drückte die Senden-Taste und ging nachdenklich in Richtung Goldenen Hirschen, um noch ein Bier zu trinken und etwas Karten zu spielen.

11    Social Skills 2.0 statt Homo Sapiens 2.0

Sofern wir den „Homo Sapiens 2.0[10]“ nicht abwarten wollen, nehmen wir diese Herausforderung an und trainieren unsere Social Skills 2.0[11] mit unterstützendem Einsatz technischer Kommunikationshilfsmittel, um die Einschränkungen von „Raum und Zeit“ aufzuheben oder zumindest zu mindern, um so weiterhin erfolgreich in Gruppen sozial, gefühlsbetont arbeiten und leben zu können. Das bedeutet, dass in der entstehenden Welt, Teambuilding auch im virtuellen Raum erfolgen muss, wie früher am Lagerfeuer soziale Netzwerke entstanden und gepflegt wurden, jetzt am „virtuellen Lagerfeuer“[12], denn sozialer Zusammenhalt existiert als Notwendigkeit auch in der Globalität, Mobilität und Virtualität!
Das kann und muss gelernt werden, wie der richtige Umgang mit dem Straßenverkehr, denn auch den hat die Natur nicht vorgesehen …

Die Schlussfolgerungen daraus lassen erkennen, dass Menschen und Unternehmen, die in Zukunft agieren und diese „sozialen Kompetenzen“ nicht besitzen, durch gestörtes Beziehungsmanagement einen erheblichen menschlichen- und auch einen Wettbewerbs­nachteil erleiden werden.

Wir zeigen Ihnen wie Sie Ihre Social Skills 2.016 richtig trainieren können!

12    Eine Bitte zum Schluss

Diese Geschichte soll gelesen, diskutiert und weitergeschrieben werden. Sie ist kostenlos, aber nicht „umsonst“. Mein Team und ich haben viel Zeit investiert, um daran zu arbeiten, bitte schenken Sie uns auch ein paar Minuten Ihrer Zeit und schreiben Sie Ihre Eindrücke, Ideen an pser2000@gmail.com, erzählen Sie „ihm“, was Sie damit gemacht haben oder tun wollen, was wir noch tun können.

Sie helfen uns damit diese Idee weiterzuführen.

Die nächsten geplanten Inhalte werden sein: „Lernen“, „arbeiten in virtuellen, interkulturellen Teams“, „Projektmanagement“. Wenn Sie selbst daran mitschreiben wollen,
pser2000@gmail.com freut sich auf Ihre Ideen, kontaktieren Sie uns bitte!

 

Peter Sereinigg
Unternehmensberater

https://cyberpoint.online

pser2000@gmail.com


[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Steinzeit#Altpal.C3.A4olithikum

[6]   Eine sinngemäß ähnliche Aussage wurde damals tatsächlich von den Verantwortlichen des Pony Expresses getätigt. Die Fundstelle dazu suche ich noch!

[9]   So wie heute im Transportgewerbe über „neue“ Varianten diskutiert wird, wurde auch damals durch das aufkommen der Dampfschiffe eine gesamte Wirtschaftsbranche in Frage gestellt, die vehement an Segelschiffen festhielt. Bierkutscher des 19. Jahrhunderts fliegen heute Flugzeuge von DHL …

[10] Der Begriff Homo Sapiens 2.0 kommt vereinzelt bereits in der Literatur vor. In der hier verwendeten Form ist er aber neu definiert, als Wesen, dass sich an die globale Gesellschaft, durch eine strickte Trennung von linker und rechter Gehirnhälfte in einem langen evolutionären Prozess angepasst hat, um jede Art von Gefühl in einer Kommunikation auszuschalten, wenn sich Gesprächspartner nicht sehen können und/oder das Gespräch als ausschließlich Geschäftlich klassifiziert wird.

[11] Social Skills 2.0: Social Skills erweitert um Fähigkeiten, die wir brauchen, um in der globalen, mobilen, virtuellen Welt bestmöglich (über-)leben zu können. Der Begriff Social Skills 2.0 wurde von uns erstmals beschrieben.

[12] Der Begriff „virtuelles Lagerfeuer“ kommt vereinzelt in der Literatur vor, aber nie im Zusammenhang mit „sozialer Netzwerkbildung im Sinne der traditionellen Entwicklung des Menschen“. Er wurde so von uns neu beschrieben.

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